Aus dem Inneren des Feminismus

Buchbesprechung

Im Oktober 2023 erschien das Buch Stärker als Wut der Missy-Mitbegründerin Stefanie Lohaus.  Patricia Hecht rezensiert.

Das Bild zeigt das Buchcover von "Stärker als Wut" von Stefanie Lohaus. Auf lilanem Hintergrund steht im oberen Teil in schwarzer Schrift der Name der Autorin und im unteren Teil in weißer Schrift der Titel "Stärker als Wut".

Wir schreiben das Jahr 2014, und die Popikone der Zeit, Beyoncé, steht auf der Bühne der MTV Video Music Awards in Kalifornien. Zu sehen ist die dunkle Silhouette der Künstlerin, die vor dem Hintergrund einer gigantischen Projektion aus hell leuchtenden Großbuchstaben performt: FEMINIST. Vor knapp zehn Jahren, schreibt die Autorin Stefanie Lohaus, markiert dieses „wohl öffentlichkeitswirksamste Coming-Out (…) den Beginn eines neuen Zeitgeistes“: Feminismus ist in den Mainstream vorgedrungen.

Das war beileibe nicht immer so, wie Lohaus in ihrem neuen Buch Stärker als Wut – wie wir feministisch wurden und warum es nicht reicht nachzeichnet. Noch in den Jahren zuvor als „F-Wort“ verschmäht, hatte der Feminismus auf seinem Marsch in Politik und Medien, Organisationen und Institutionen, Köpfe und Herzen jahrzehntelange Durststrecken zu überwinden. In den 1980er Jahren beginnt Lohaus die Reise ins Innere des hiesigen Feminismus – der hiesigen Feminismen, wie es korrekt heißen müsste – und beschreibt fakten- und kenntnisreich die langen Linien der Bewegung bis ins Jetzt.

Feministische Meilensteine eingewoben im großen Ganzen

Der Startpunkt in den 1980ern ist nicht ganz willkürlich gesetzt: Jenseits der Tatsache, dass es der Lesbarkeit der rund 250 Seiten starken historischen Analyse gut tut, nicht noch grob 100 Jahre früher einzusetzen, fällt die eigene Kindheit der 1978 geborenen Lohaus in diese Zeit. So wird das Buch auch die Coming of Age-Erzählung einer zeitgenössischen Feministin, die heute in ihren 40ern ist. Lohaus‘ Identitätsfindung, ihre Sozialisierung und Politisierung, ihr Schwangerschaftsabbruch, später die Kitasuche für ihre beiden Kinder – und natürlich die Gründung eines der zentralen Organe des aktuellen Feminismus, des Missy Magazines: um all das geht es ebenfalls in Stärker als Wut, eingewoben ins große Ganze.

Lohaus beschreibt die Latzhosen der 1980er, die Girlies der 90er, das Unverständnis und die Brüche zwischen den Frauenbewegungen in Ost und West. Sie geht auf die Entwicklung von Gleichheits- und Differenzfeminismus ein, den Kitaausbau, die ersten Frauenbeauftragten und auf Subkulturen wie die Musik, zum Beispiel der Riot Grrrls, aus der sich der Feminismus immer auch speiste und die er prägte. Das alles erzählt sie bis auf einige Exkurse weitgehend chronologisch, was angesichts der überbordenden Materialfülle angebracht scheint. Wer also wissen will, was es mit der „erfolgreichsten sozialen Bewegung aller Zeiten“ auf sich hat, als die Lohaus den Feminismus bezeichnet, wie jung viele Errungenschaften sind, die heute oft als selbstverständlich wahrgenommen werden, ist in diesem Buch richtig.

Nur das mit der Wut, die im Titel steht, ist so eine Sache. Klar macht vieles, was Lohaus beschreibt, unglaublich wütend: Die stillschweigende Übereinkunft des Patriarchats, das Frauen in immensem Ausmaß unterdrückte, klein hielt, mundtot machte und das alles als gegeben verkaufte. Wo die gesellschaftliche Stellung der Frau früher auf die Anatomie der Gebärmutter und Hysterien geschoben wurde, sind später halt die Gene schuld.

Stefanie Lohaus selbst allerdings wendet das Gefühl der Wut, wie es viele tun, als Teenie erstmal gegen sich selbst: Ende der 90er Jahre kommt sie von einem Schüler:innenaustausch aus den USA spindeldürr zurück. Und auch, als die Esstörung überwunden ist, ist von ihrer eigenen, externalisierten Wut zumindest im Buch nicht allzuviel zu spüren. Zum Glück für den Feminismus, könnte man auch sagen: Denn obwohl es sicher wütende Feminist:innen braucht, schreibt hier eine Pragmatikerin, eine konstruktive Antiideologin – die katholische Kita um die Ecke war ihr die liebste für ihre Kinder – und Brückenbauerin, die die Bewegunge vor allem gern breit aufgestellt sehen würde.

(Feministische) Brücken und Bündnisse

So zu agieren, ist Lohaus wichtig, und darin kritisiert sie auch die eigenen Leute. Eine schwach ausgeprägte Fehlerkultur der Szene stellt sie fest, Ausschlüsse und Defizitorientiertheit, was die Bündnisfähigkeit im Feminismus schwächt oder sogar unmöglich macht. Demgegenüber bleibt Lohaus selbst wertschätzend in Ton und Inhalt und fern davon, Kritik zu personalisieren. Womit wir bei Alice Schwarzer wären, die das durchaus anders handhabt und in einem Buch über den bundesdeutschen Feminismus seit den 1980er Jahren auf die eine oder andre Weise wohl trotzdem vorkommen muss.

Abarbeiten muss sich Lohaus an Schwarzer jedoch nicht, und Schaum vorm Mund ist ihr ohnehin fremd. Ein wenig wundert sie sich über Schwarzers „entpolitisiertes“ Auftreten in deren frühen Jahren und beschreibt, wie sie selbst nach Gründung der Missy 2008 auf Seiten derer stand, die in einem Round Table Gespräch sogar versuchten, die Kanäle zur Emma offen zu halten. Viel konkreter als „populistisch“ wird Lohaus in ihrer Kritik an Schwarzer aber nicht – wie weit die in der Szene zum Teil verhasste Übermutter des deutschen Feminismus streckenweise nach rechts gedriftet ist, bleibt unerwähnt. Das kann man kritisieren, ist aber aus Lohaus‘ Perspektive konsequent: Diskussion ja. Aber gegenseitige Angriffe innerhalb des Feminismus gehörten sich einfach nicht.

Jahrtausendwende und dann ins Hier und Jetzt

Und dann, als die 2000er Jahre anbrechen, liest man mit noch etwas mehr Spannung, wie Lohaus die jüngste Vergangenheit in die feministische Geschichte einschreibt, wie sie sie historisiert. Gefühlt beginnt da auch schon die Gegenwartsdiagnose: Da sind die Netzfeministinnen, die Social Media für sich nutzbar machen, die Sternjournalistin Laura Himmelreich und #Aufschrei, die Kölner Silvesternacht und schließlich, alles verändernd, #Metoo. Nach dem Hoch dann die Väterrechtler, der Antifeminismus, die trans-Streits, und uff, schon etwas atemlos, Pandemie war ja auch noch.

Ein wenig bleibt angesichts der Lage der Welt und des Feminismus statt Wut doch auch Erschöpfung. Viel wurde erkämpft, viele Grundlagen wurden gelegt, und doch sind die Gegenkräfte stark. Das liegt auch daran, dass es, wie Lohaus schreibt, an Austausch fehlt im Feminismus, auch an Gesprächsräumen. Zwar werden manchmal Streits auf Social Media ausgefochten – aber wie vereinzelt und losgelöst wir in der analogen Welt nebeneinander stehen, ist manchmal doch traurig. Die Zerwürfnisse im Feminismus, die der Krieg im Nahen Osten mit sich bringt, sind da noch nicht einmal beschrieben.

Mit einem vorsichtig formulierten Aufruf hin zu einem transformativen Feminismus fängt Lohaus die Tristesse am Ende ab. Feminismus als gesamtgesellschaftliche Strategie zu begreifen, schreibt sie in Anlehnung an die Geschlechterforscherin Ilse Lenz, darum gehe es nun. Dazu müssten gesellschaftliche Visionen weiterentwickelt, Institutionen erobert, Gewalt und Diskriminierung bekämpft werden. Und das, weil Feminismus – so einfach, wie es da steht, ist es ja - das Leben für alle besser macht.

Das Bild zeigt Stefanie Lohaus in einem schwarz weiß gemusterten Kleid. Sie sitzt auf einem blauen Sessel seitlich angelehnt, richtet ihren Blick in die Kamera und hinter ihr finden sich zwei Vorhänge in rosa und mit einerm glitzernden Oberfläche.

Stefanie Lohaus (*1978) ist Mitbegründerin und Mitherausgeberin des Missy Magazine. Seit 2019 ist Stefanie Lohaus Mitarbeiterin des Forschungs- und Beratungsinstituts EAF Berlin, seit 2023 als Mitglied der Geschäftsführung. In diesem Rahmen leitet sie das Bündnis "Gemeinsam gegen Sexismus". Des Weiteren schreibt sie für verschiedene Medien, u.a.: ZEIT ONLINE, FAZ, FAS oder Vice.

Ihr Buch Stärker als Wut - Wie wir feministisch wurden und warum es nicht reicht, erschien im Oktober 2023 im Suhrkamp Verlag.